WolkenLiebe Leserinnen und Leser,

das „Heute-Journal“ am vergangenen Montag begann so: „Guten Abend! Unser Planet schwebt in Lebensgefahr!“ Damit zitierte Claus Kleber Svenja Schulze, die Bundesumwelt-ministerin, die so auf den neuen Bericht des Weltklimarates reagiert hatte. Claus Kleber kommentierte dann, dass dieser Satz wohl eher für politischen Frust als für eine sachliche Feststellung stehe, denn natürlich werde diese Erde überleben. Die aktuellen Nachrichtenbilder zeigten aber, wie die Menschen ihre eigene Lebensgrundlage in Gefahr gebracht hätten, nämlich, indem sie Falsches getan und Richtiges unterlassen hätten. Eine sehr deutliche Aussage, die mich beschäftigt.

Richtig und falsch. Hier ist von Gegensätzen die Rede. Um Gegensätze geht es auch im Predigttext. Er steht in Eph 2, 1-10:

1 Auch ihr wart tot durch eure Übertretungen und Sünden, 2 in denen ihr früher gewandelt seid nach der Art dieser Welt, unter dem Mächtigen, der in der Luft herrscht, nämlich dem Geist, der zu dieser Zeit am Werk ist in den Kindern des Ungehorsams. 3 Unter ihnen haben auch wir alle einst unser Leben geführt in den Begierden unsres Fleisches und taten den Willen des Fleisches und der Vernunft und waren Kinder des Zorns von Natur wie auch die andern. 4 Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, 5 auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade seid ihr gerettet –; 6 und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, 7 damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus. 8 Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, 9 nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. 10 Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.

Zu Beginn des Textes stehen deutliche Worte. Der Verfasser des Epheserbriefes, evtl. Paulus oder einer seiner Schüler, schreibt zwischen 70 und 100 n.Chr. an eine Gemeinde, die andere Themen und Lebensweisen hatte als wir. Aber deutlich wird auch, nur mit anderen Worten: „Ihr habt das Falsche getan und das Richtige unterlassen.“

Je öfter ich das höre, desto mehr ich möchte am liebsten antworten: „Nein, das möchte ich nicht mehr hören, es dient mir nicht zum Leben, es macht mir keinen Mut, ich brauche Ermutigung, keine Entmutigung.“ Doch daneben empfinde ich, dass es ja stimmt. Wir können die Konsequenzen unseres Handelns gar nicht mehr übersehen.

Darum spricht mich das, was der Text danach sagt, sehr an: „Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade seid ihr gerettet.“ Ich brauche Gnade. Ein großes Wort. Und ich weiß nicht, ob ich sie überhaupt richtig begreife und ob wenige Worte reichen, um ein bisschen davon zu verstehen. Ich spüre nur, dass ich Gnade brauche und dass diese Welt sie auch braucht. Das ist alles andere als eine einfache Antwort auf das, was alles als falsch bezeichnet wird. Es ist nicht einfach die Umkehrung all dessen, was falsch ist und dann ist es wieder richtig.

Gnade ist für mich das, was ich an Jesus beobachten kann, wenn er mit Menschen umgeht. Er schaut hin und nicht weg. Jesus schaut die Frau, von der die Bibel erzählt und die als Sünderin bezeichnet wird (Joh. 8, 1-11), liebevoll an. So stelle ich es mir vor. Und er fragt diejenigen, die sie bestrafen wollen: Wer ist eigentlich von euch ohne Sünde?

Ja, mit der Gnade, mit Christus kann ich all das annehmen, was ist, meine ganze Person mit dem, was gut und mit dem, was auch nicht gut ist. Hinschauen dürfen, weil Gott es mit Jesus Christus auch tut; nichts verdrängen müssen, weil das sehr anstrengend sein kann, das ist nun möglich. Gott ist gnädig aus Liebe, er macht lebendig aus Gnade. Was kann es Größeres geben, als so sein zu dürfen, wie man ist, ohne etwas verdrängen zu müssen und dafür geliebt zu werden. Das ist ein Wunsch, den ich spüre. Ich muss mich dann nämlich nicht verstellen. Ich glaube, dafür wurde Gott Mensch, dafür kam Jesus Christus in diese Welt. Es ist für mich ein Geheimnis, dem ich versuche, ein wenig auf die Spur zu kommen. Manchmal spüre ich davon etwas, wenn ich biblische Texte lese, so wie diesen und höre, dass Christus lebendig macht, dem lähmenden Urteil über diese Welt Lebendigkeit entgegensetzt. Das wirkt! Das leuchtet! Mit ihm an der Seite spüre ich, was Gnade ist. Und ich spüre auch etwas davon, wenn ich sehe, wie barmherzig Menschen miteinander umgehen, das Schwere miteinander teilen, sich dabei unterstützen einen guten gemeinsamen Weg zu finden. Einer ist gnädig mit dem anderen.

Das sind heilende Gesten, die einen Genesungsraum für unsere Seelen eröffnen, ganz gleich, wie geschunden, krank, wie verloren sie sich fühlen. Hier kann die Seele aufatmen. Das ist Gnade. Da ist einer an unserer Seite. Er geht mit und schaut nicht weg. Und wenn die Gnade für mich gilt, wie es der Text sagt, wenn Christus mit mir geht, dann gilt das auch für die Welt. Er ist mit ihr. Dann ist es möglich, hinzuschauen und zu hören, was da gesagt wird: „Ihr habt das Falsche getan und das Richtige unterlassen!“ Ja, dann darf ich anerkennen, denn ich weiß, er bleibt an meiner Seite und dreht sich nicht weg. Dann kann sich etwas ändern.

Das heißt nun nicht, dass diese Welt mit all ihren Nöten, dass Menschen sich von ihrem Leid von heute auf morgen erholen und einfach alles gut wird. Und doch bedeutet es, dass die Hoffnung auf einen Gott, der mitgeht, auch diese Welt, so sehr sie mit Krankheit und Leid zu kämpfen hat, in seinen Händen hält. Er ist größer als die Angst vor dem Unheil. Durch die Botschaft von der Gnade Gottes, kann die Welt aufatmen, weil durch sie Hoffnung und Veränderung möglich werden. Es ist die Hoffnung, dass noch etwas werden kann, dass der Zustand, wie er ist, nicht so bleiben muss. Sie macht Mut trotz aller Unzulänglichkeiten, immer wieder neu einen Weg zu gehen, auf dem kleine Veränderungen möglich sind und auf dem jeder und jede auf seine und ihre Weise mitgehen kann. Es ist möglich, weil Gottes Gnade schon da ist. Sie kommt nicht erst, weil wir es richtig machen, sondern sie ist schon da und ermutigt, es immer wieder neu zu versuchen.

Martin Luther hat es einmal so gesagt: „Das Leben ist nicht ein Frommsein, sondern ein Frommwerden, nicht eine Gesundheit, sondern ein Gesundwerden, nicht ein Sein, sondern ein Werden, nicht eine Ruhe, sondern eine Übung. Wir sind’s noch nicht, wir werden’s aber. Es ist noch nicht getan oder geschehen, es ist aber im Gang und im Schwang. Es ist nicht das Ende, es ist aber der Weg.“

Einen gesegneten Sonntag wünscht, auch im Namen von Jutta Richter-Schröder und Hardy Rheineck,  

Gudrun Schlottmann

 
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