Gruß zum Sonntag Reminiszere, 28.02.2021
Gedanken zum Predigttext: Jesaja 5,1-7

Liebe Gemeindeglieder!
Es sind schräge Töne, die durch den Predigttext vom HERRN der himmlischen Heerscharen (=Zebaoth) in unsere Sonntagsbeschaulichkeit hinüberklingen. Während wir uns freuen am widererwachten Gesang der Vögel, ersten warmen Tagen, dem zarten Sprießen früher Blumen und banger Hoffnung auf nahe Lockerungen, wirkt er fast wie deplatziert. Irritierend hoffnungslos und gnadenlos. Der Prophet Jesaja lässt Gott ein Lied singen von der Ungerechtigkeit und Schlechtigkeit der Welt.

Dabei setzt es ganz gefällig ein, ruft schöne Bilder wach. Ein „Weinberglied“, das einem Liebeslied gleicht: Es er-zählt von einem lieben Freund, der voller Leidenschaft einen üppigen Weinberg hegt und pflegt. Man kann sich vorstellen, wie alle Lebensenergie des Freundes um dieses Biotop kreist und sich aus dessen Wachsen und Gedeihen speist. Dann ein jäher Bruch durch eine Schlusszeile, die alle schönen Bilder auslöscht: Der Weinberg bringt nur schlechte Trauben. Ich stelle mir dazu einen schrägen Schlussakkord vor, der an Zahnscherzen erinnert. Der Freund ist dann nicht mehr ganz so lieb.


Wie ein enttäuschter Liebhaber wendet er sich ab und überlässt den Weinberg nun einfach seinem Schicksal: es entwickelt sich die ungezähmte Natur anstelle ehemaliger fürsorgender (Weinanbau-) Kultur – wie übrigens die Natur uns aktuell ja auch schmerzlich daran erinnert, wie bedrohlich sie unserer Kultur werden kann.

Aus dem Liebeslied wird ein Schimpf- und Spottgesang, der nicht zurückfindet zur Hoffnung und den Bildern der ersten Zeilen. Und so ist es auch ein wenig überrumpelnd komponiert: Nachdem ich anfänglich gerne innerlich mitgehe, bleibe ich am Ende irritiert und ratlos zurück. Dieses Lied sing nicht von der Liebe Gottes!

Oder doch? Betrachtet man den Zusammenhang, zieht sich weiterhin große Leidenschaft durch die Worte, nur haben sie eine andere Färbung als die ersten Zeilen des Weinbergliedes. Klingen diese hell, dynamisch, fröhlich, liebevoll, macht sich nach dem „Kipppunkt“ Enttäuschung breit, auch Wut über das Ausbleiben der guten Frucht. Die Worte werden dunkel, spiegeln die soziale Ungerechtigkeit und Ödnis jener Zeit. Jesaja zeigt uns einen Gott, der seine Enttäuschung nicht verhehlt, der Wut und Schmerz empfindet angesichts des menschlichen Versagens, Gerechtigkeit und Güte hervorzubringen. Die „Krone der Schöpfung“ kann es nicht besser?!
Für mich bringt das Lied die Schattenseiten der Liebe Gottes zu Gehör. Wer liebt, kann nicht immer auf Gegen-liebe hoffen. Wer liebt, handelt sich Enttäuschung ein. Wer liebt, wird Schmerzen spüren. Und wahre Leidenschaft wird sich nicht einfach löschen lassen, sondern brennt sich als Wut und Zorn der Seele ein. Auch wenn mich diese Töne aus Gottes Mund befremden, hat es nicht irgendwie auch sein Tröstliches, dass er sich nicht als kalter Klotz, als abstraktes Prinzip vorstellt?

„Gott ist die Liebe“ (1Joh 4,16) – so erfahren wir nicht erst aus dem 2. Testament. Aber diese Liebe dürfen wir uns nicht als harmlos, oberflächlich, gar trottelig vorstellen. Es ist die Leidenschaft des göttlichen Geistes, der die Welt durchdringt und Orte und Menschen sucht, in denen diese Liebe Gestalt gewinnt. Dabei umschließt sie Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung und anderes mehr. Sie entzieht ihren Schutz, wo sie keine Früchte reifen lassen kann. Wie leidenschaftlich liebend Gott sich dennoch dem Dunkel, der Ödnis entgegenstellt – und zu welchem Preis – zeigt sich im Passionsgeschehen, auf das uns die Fastenzeit lenkt.

„Gedenke (=reminiszere), Herr, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte, die von Ewigkeit her gewesen sind.“ (Psalm 25,6) Pfr. Torsten Krey

 
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