Grüne AueLiebe Sonntagsgrußleser/innen,

vor einigen Tagen machte ich einen Ausflug zum Schloss Wilhelmsthal. Es war einer der ersten warmen Sommertage. Schon von Weitem sah ich eine Schafherde auf der großen Wiese. Im Schatten suchten die Schafe nach Gras. Sie schienen sehr entspannt zu sein. Mehrere Leute standen dort und beobachteten sie. Die kleinen Schafe waren für alle ein Blickfang. Die Leichtigkeit war ein bisschen wie Urlaub. Mir fielen vertraute Worte ein: „Der Herr ist mein Hirte!“ (Ps 23,1) Bei dieser Herde war zwar kein Hirte zu sehen, aber irgendwo musste er ja sein. Einer musste die Herde ja hierhergebracht haben.

Psalm 23 gehört zu den bekanntesten und beliebtesten Psalmen. Wir hören und lesen ihn immer wieder, bei besonderen Anlässen, zu Taufen, Trauungen, auch bei Beerdigungen und manche von uns können ihn auswendig. Er nimmt das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen auf. Man kann das eigene Erleben mit den Bildern dieses Textes beschreiben. Er spricht von grünen Auen und von tiefen Tälern. Wir wünschen uns einen, der uns begleitet wie ein Hirte, der Halt und Trost gibt, an dem wir uns orientieren können. „Dein Stecken und Stab trösten mich!“ (Ps 23,4)

Jesus erzählt noch etwas Weiteres von diesem Hirten und beschreibt, was ihn ausmacht. Wir lesen davon im Lukasevangelium, Kapitel 10, 1-7:

1 Es nahten sich ihm aber alle Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. 2 Und die Pharisäer und die Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen. 3 Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach: 4 Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er eines von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er's findet? 5 Und wenn er's gefunden hat, so legt er sich's auf die Schultern voller Freude. 6 Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. 7 Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.

„Das verlorene Schaf“ ist eine Geschichte, die auch Kinder sehr fasziniert. In vielen Kinderbüchern ist es ein kleines Schaf, das sich verirrt. Das bringt seine Bedürftigkeit besonders zum Ausdruck. Es findet den Weg nicht zurück. Es hat große Angst. Da liegt es einsam und verlassen in der Dunkelheit. Kommt der Hirte? Sucht er wirklich nach dem kleinen Schaf? Findet er es wieder? Ja, tatsächlich. Siehe da, das kleine Schaf hört von Ferne die vertraute Stimme des Hirten. Er hat nach ihm gesucht. Er hat es gefunden. Er nimmt es auf die Schultern und trägt es zur Herde zurück.

Am Ende des Textes ist davon die Rede ist, dass Freude im Himmel über einen Sünder sein wird. Das meint aus meiner Sicht die Freude darüber, dass einer, der ausgegrenzt war, wieder dazu gehören kann. Einer, der allein war mit seinem Erleben, der sich entfernt hatte, und sich selbst verloren hatte, ist wieder dabei, fühlt sich wieder zu hause. Und dafür musste er sich gar nicht anstrengen. Jesus hat ihn gesucht und gefunden.

Mir fällt dabei die Aktion „Offen für Vielfalt – Geschlossen gegen Ausgrenzung“ ein. Ausgrenzung und Dazugehören ist ein gesellschaftliches Thema. Diejenigen, die ausgegrenzt werden, sollen wieder dazugehören dürfen. Dafür setzt sich diese Aktion ein. „Offen für Vielfalt – Geschlossen gegen Ausgrenzung“ ist ein regionaler Zusammenschluss von Organisationen, Vereinen und Unternehmen, die sich in Kassel und Nordhessen für Vielfalt und gegen jegliche Ausgrenzung von Menschen in der Gesellschaft und Arbeitswelt engagieren. Menschen geraten ins Abseits, werden einfach, manchmal ganz unabsichtlich, übersehen. Wie groß muss das Leid sein. Wir hören in diesen Tagen von Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. Wir lesen von Benachteiligung sozial schwacher Kinder und von Überlegungen, wie alle in dieser Welt satt werden können. Die Reihe ließe sich fortführen. Das Verhalten des Hirten ist auch ein Vorbild für uns, hinzuschauen, wo Ausgrenzung geschieht.

Jesus macht sich auf die Suche. Und er fängt bei mir damit an. Auch ich verliere mich immer wieder einmal in dem, was mir Sorgen macht, in den Nöten des Alltags und habe keinen Blick für das, was um mich herum geschieht, auch nicht für die Menschen, die mich vielleicht brauchen, weil sie ausgegrenzt sind. Ich kenne die Situationen, in denen ich mich verlassen fühle, weil ich nicht weiß, wie es weitergeht. Da sind sie, die dunklen Täler, in denen ich mich nach Halt sehne.

Und dann höre ich in dieser Geschichte, dass ich mich nicht selbst bemühen muss, um den Weg zurück zu finden. Für den Hirten ist es nämlich ganz selbstverständlich, dass er mich sucht.

Ein schönes und mutmachendes Bild!

Was bedeutet es in meinem Alltag? Wo erlebe ich es, dass er mich sucht und findet? Wahrscheinlich erlebt das jede und jeder von uns sehr unterschiedlich und wir könnten uns davon erzählen.

Kürzlich war ich bei einer älteren Dame eingeladen, gemeinsam mit einer Freundin. Diese Freundin brachte uns beiden etwas mit. Es war ein Herz aus Holz, auf dem stand: „Gott vertrauen!“ Und sie sagte dazu: „Ich habe Euch dieses Herz mitgebracht, weil ich dachte, dass ihr es genauso gut gebrauchen könnt, wie ich. Nämlich die Erinnerung, dass wir nicht alleine sind und Gott vertrauen können.“ Und sie hatte Recht: Ich konnte es gebrauchen. Ich hatte dieses Vertrauen in aller Geschäftigkeit verloren. Manchmal ist es eine ganz einfache alltägliche Geste, die mich „findet“ und meinen Blick verändert. Sie zeigt mir: Jemand denkt an mich und macht mir Mut. Dieses Herz liegt bei mir uns erinnert mich immer wieder daran.

Manchmal brauche ich aber auch etwas anderes, als Kleinigkeiten. Nicht immer ist es so leicht. Es gibt Situationen im Leben, die mich so umtreiben und belasten, dass das Vertrauen erst langsam wieder wachsen muss. Dann brauche ich sogar manchmal die Zeiten, in denen ich mich verlieren darf, in denen ich für mich sein darf, sogar einsam und verlassen darauf warten darf, dass die Lebenskraft zurückkommt. Jesus findet mich auch dann – daran glaube ich. Er geht mit durch diese Zeiten. Die vertrauten Worte behalten auch dann ihre Bedeutung. Sie sprechen mich mal an und mal erreichen sie mich nur schwer. Doch, wie auch immer es mir geht und was auch immer ich brauche, ich möchte vertrauen und glauben, dass es stimmt, was sie sagen: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.“ (Ps 23, 1-2)

Einen gesegneten Sonntag wünscht, auch in Namen von Jutta Richter-Schröder und Hardy Rheineck,

Gudrun Schlottmann

 
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