Kreuzweg

Liebe Leserin, lieber Leser,

KreuzWeg“ heißt ein Buch mit Texten und Holzdrucken zum Leidensweg Jesu, das ich vor einiger Zeit geschenkt bekam. Die Bilder sind von einer ungarischen Künstlerin Dávid Mária Kiss (1930-2002) und die Texte von zwei deutschen Autorinnen Vera Krause und Ancilla Röttger.

Wenn ich das Buch schaue, spricht mich ein Bild besonders an, weil es mich fragend macht: Eine Frau mit einem Tuch in der Hand. Kommt diese Frau in der Passionsgeschichte vor? Mir fällt keine entsprechende Stelle in der Bibel ein. Wohl aber berichtet der Evangelist Lukas darüber, dass weinende Frauen am Wege standen, als Jesus seinen Leidensweg ging (Lk 23,27). Und es gibt eine Legende von einer Frau Namens Veronika, die Jesus ein Schweißtuch gereicht haben soll. Diese Legende ist die Grundlage für das vorliegende Bild und die Gedanken dazu.

Veronika steht am Wegesrand. Ihre auffällig großen und tatkräftigen Hände fallen ins Auge. Im Hintergrund wird der Weg angedeutet. Veronikas Dasein ist wie eine offene Tür, in die sie hineingestiegen ist in die Spur Jesu. Sie reicht Jesus ein Tuch, in dem er sein Gesicht trocknen kann. Eine zarte, mitfühlende und doch hilflose Geste der Liebe wird hier deutlich, die unterzugehen scheint im Übermaß an Ablehnung und Gewalt, die Jesus erleben muss. Die Überlieferung sagt, dass sich das Antlitz Jesu auf dem weißen Tuch abgebildet haben soll. Der Anblick des leidenden Jesus prägt sich ein, hinterlässt Spuren.

Was kann eine/einer allein schon tun? Veronikas zarte, leise Geste steht im Gegensatz zu der starren Menge, die da mit Jesus mitläuft. Anhalten für einen Augenblick, sich der Realität stellen, in die Leidensspuren hineinsteigen – wie grausam sie auch sein mögen – das kann den Menschen in seiner Tiefe verändern. Es berührt den, der leidet und den, der mitleidet. Veronika hält so lange an, bis sie Jesu Antlitz auf ihrem Tuch erkennt. Dieser gequälte Mensch wird sichtbar in seiner Würde. Er zeigt sein Antlitz. Und Veronika strahlt durch ihr eindrückliches und Jesus anschauende Antlitz mit innerer Würde zurück.

Nicht Mitlaufen im Strom der Menge, sich dem Leben stellen, in das Gesicht des leidenden Menschen schauen und den Mut zu zarten, leisen Gesten aufbringen: Das öffnet Raum, in dem kein Mensch mehr seine Würde verlieren muss. Gesicht zeigen und ein Gesicht anschauen, das gäbe dem Leben eine Chance. Überall auf der Welt.

Jesu gequältes Antlitz wird heute nicht mehr in einem Tuch sichtbar. Deutlich eingezeichnet aber ist es in den Gesichtern der Menschen in den „Elendsvierteln“ unserer Zeit: der Hungernden und Notleidenden, der Einsamen und Traurigen, der Kranken und einsam Sterbenden.

Das weiße Tuch auf dem Bild stellt mich vor die Frage: Wer ist es, dessen/deren Antlitz mir begegnet und einen Abdruck darin hinterlässt? Welches Thema steht mir vor Augen und bewegt mein Herz? Welches Wort prägt sich mir ein und hinterlässt Spuren, einen Abdruck in meinem Leben? Wo kann ich Gesicht zeigen und ein Gesicht anschauen, und sei es nur für einen kurzen Augenblick, gerade so viel, wie es mir und dem/der anderen möglich ist? Schon dieses Anschauen und Angeschautwerden, manchmal im Schweigen, kann tief bewegen und berühren, gerade auch in dieser Zeit. Einen kurzen Moment Blick und Weg teilen, kann eine heilsame Erfahrung sein.

Ein Gedicht auf der Rückseite des Buches bringt das noch einmal zum Ausdruck:

Weggefährtenschaft

Einen

fremden

Weg

ein Stück lang

zu meinem

eigenen Weg machen

Eine

fremde

Blickrichtung

aufnehmen

und auch dort

mit hinschauen

wo es weh tut

Ein

fremdes

Leiden

teilen

weil ich

des Weges komme

und nicht ein anderer.

Einen gesegneten Sonntag wünscht Ihnen und Euch, auch im Namen von Jutta Richter-Schröder und Hardy Rheineck,

Gudrun Schlottmann

(Literatur: Vera Krause, Ancilla Röttger OSC: KreuzWeg. Mit Bildern von Dávid Mária Ki

 
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