Der ungläubige Thomas

Der ungläubige Thomas (um 1600) - zu Johannes-Evangelium Kapitel 21, Verse 24 bis 29
Michelangelo Merisi da Caravaggio, Potsdam, Schloß Sanssouci

 

Liebe Leserinnen und Leser,

vor 14 Tagen sind sie durch unsere Stadt gelaufen – Querdenker und Coronaleugner. Ohne Maske. Und mit der Botschaft: Was ich nicht sehe, das ist existiert auch nicht. Und wenn doch, dann steckt eine finstere Verschwörung dahinter. Und ja, es ist schwer, mit etwas umzugehen, das man nicht sehen kann, nicht anfassen, nicht riechen und schmecken. Etwas, das unseren alltäglichen Sinnen und Erfahrungen nicht zugänglich ist.

Und ja, es ist schwer, etwas zu sehen, das schmerzlich ist, Angst macht und Leid oder gar Tod bedeutet. Auch davor möchten manche lieber die Augen schließen und sich einen anderen Vers darauf machen. Wir sind in der Osterzeit.

Und wer jetzt auf die biblischen Überlieferungen hört, auf all die Ostereignisse, der hört immer wieder: „Sie sahen ihn“, „sie sahen Jesus“. Doch das Sehen allein reicht noch nicht. Oftmals dauert es einen Moment, bis die, denen der Auferstandene begegnet, ihn erkennen. Im Johannesevangelium hören wir heute noch einmal davon. Die Jünger sind zusammen – am 8. Tag nach der Auferstehung; also genau wie wir heute, am Sonntag nach Ostern. Unter Ihnen ist Thomas. Er war nicht dabei, als Jesus den anderen begegnete. Er sagt zu ihren Berichten über den Auferstandenen: Das glaube ich ganz sicher nicht. Nicht einmal, wenn ich es sehe. Erst, wenn ich die Finger in die Wundmale lege, dann glaube ich das. Thomas will nicht einfach auf Hörensagen hin fantastische Geschichten glauben. Er kommt uns modernen Menschen nahe. Wie kann man wissen, dass etwas wahr ist? Thomas will es nachprüfen. Er will den Finger in die Wunde legen. Und Christus fordert ihn dazu auf. Doch Caravaggio hat mehr gemalt als das Johannesevangelium überliefert:

Auf seinem Bild sehen wir Christus die Hände Thomas‘ leiten und sehen, wie forschend Thomas Christus berührt. Ob er die Wunde Christi tatsächlich berührt hat – im Johannesevangelium offen bleibt das offen. Und so achte ich mehr auf Thomas‘ Stirn. Sie ist gerunzelt. Und auf seinen Blick. Er scheint ein wenig über die Wunde hinauszugehen und zugleich auch sich nach innen zu wenden. Ist das auch ein Innewerden? Ein In-sich-Aufnehmen, ein Sich-berühren-Lassen von dieser Begegnung? Und ist nicht auch das ein ganz eigenes Begreifen, Sehen, Verstehen?

Ich weiß nicht, ob ich Thomas um dieses Erlebnis beneiden sollte. Es muss erschütternd gewesen in. Und es ist uns überliefert mit den Worten Jesu: „Selig, die nicht sehen und doch glauben“. Ich kann und muss als später Geborene die Überlieferung im Hören der Worte und mit dem Blick nach innen in mich aufnehmen. Für mein Leben in der Welt möchte ich aber auch das andere mitnehmen aus der Geschichte des Thomas:

Thomas erkennt Jesus an seinen Wunden, das ist wichtig. Sie sind Realität. Und es gilt, davor die Augen nicht zu verschließen. Auch wenn die Wunden heute aus Statistik und Zahlen bestehen, von Menschen die erkrankt oder verstorben sind und den Wunden, die das bei ihren Angehörigen hinterlassen hat, die wir selbst mitdenken müssen. Den Finger in die Wunde legen, unsere Sprache hat es sogar als Redewendung, als Merkzeichen aufgenommen. Wer den Finger in eine Wunde legt, nimmt sie wahr und macht sichtbar, wo eine Wunde ist. Er geht mit der Realität um. Er weist darauf hin.

Leiden ist selten öffentlich. Das betrifft nicht nur Corona-Erkrankungen. Wir sind wir darauf angewiesen, unsere Welt so wahrzunehmen wie sie ist. Dann können wir aus dem ganz Anderen, aus der österlichen Hoffnungsbotschaft leben und bessern, heilen und trösten, wo wir es vermögen.

Ich grüße Sie auch im Namen von Gudrun Schlottman und Hardy Rheineck herzlich

Ihre

Jutta Richter-Schröder

 
Kooperation Service Impressum © medio.de